Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum IT

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updated 11:54 AM UTC, Mar 20, 2024

Kenya: In Garissa keimen Samen des Friedens zwischen Christen und Muslimen

Bericht über das Zusammenleben der Gläubigen der beiden Religionen. Die Erinnerung an die Attentate der Milizen al-Shabbab, die Wiederherstellung der Ruhe, der interreligiöse Dialog und der Einsatz der Kirche. In einem Interview mit dem Bischof Joseph Alessandro.

Cristina Uguccioni
Larissa

Die Diözese Garissa, im Nordosten Kenyas, an der Grenze zu Somalia gelegen, erstreckt sich über ein Gebiet von 14500 Quadratkilometer (ein Drittel des Landes). Das Land wird bewohnt von 1 Million Einwohnern, 98% von ihnen gehören dem islamischen Glauben an. Die Katholiken machen ungefähr 8.000 Gläubige aus, sie stammen vor allem aus anderen Gebieten Kenyas: Sie werden in sieben Pfarreien betreut und stützen sich ab auf fünfzehn Priester und vier Ordensgemeinschaften. In den letzten Jahren wurde dieses Gebiet von den somalischen Milizen al-Shabbab schwer heimgesucht; sie haben zahlreiche Attentate begangen. Das spektakulärste ereignete sich im April 2015, als die Terroristen die Universität von Larissa überfielen, um sich schossen und als Geiseln dutzende Personen nahmen. Die Muslime liessen sie wieder frei, die jungen Christen ermordeten sie. Es gab 148 Opfer: Studenten und ein Wärter.

Der Hinterhalt

Bischof dieser Diözese ist Pater Joseph Alessandro, Bürger von Malta, 73 Jahre alt; er gehört dem Orden der Minderen Brüder Kapuziner an. Im Jahr 1989 kam er ein Restes Mal nach Kenya. 1993 wurde er Opfer eines Hinterhalts: Eine Gruppe Terroristen (die Shifta) stoppte sein Auto, schoss auf ihn und raubte ihn aus. In England musste er sich einer Reihe von Operationen unterziehen, zur Erholung ging er dann nach Malta. Seine Mitbrüder wählten ihn in der Folge zum Provinzialminister. Nachdem sein Mandat ausgelaufen war, bat er darum, nach Kenya zurückkehren zu dürfen, und zwar in die Gegend von Garissa, wo es nur wenige Priester gab und wo der kränkliche Bischof einen Helfer brauchen konnte. Im Jahr 2012 wurde Pater Alessandro zum Bischofskoadjutor ernannt und seit 2015 leitet er die Diözese. Im folgenden Gespräch mit Vatican Insider erzählt er vom Leben seiner Diözese und von der Art und Weise der Kontakte zwischen den Christen und den Muslimen.

Welche Situation zeigt sich gegenwärtig in Garissa?

„Es ist Ruhe eingekehrt! Nach dem Attentat auf die Universität haben es viele Christen vorgezogen, die Stadt zu verlassen, in ihre Dörfer zurückzukehren oder sich in der unmittelbaren Nähe niederzulassen und während des Tages zur Arbeit in die Stadt zu kommen. Unterdessen sind sie in die Stadt zurückgekehrt. Diese ist sicherer geworden, weil die Regierung die Ordnungskräfte an der Grenze zu Somalia verstärkt hat; diese bewachen auch weiterhin die Kirchen. Nicht zuletzt auch darum, weil die somalischen Milizen al-Shabbab es nicht mehr auf die Zivilbevölkerung abgesehen haben, sondern auf die bewaffneten Kräfte an der somalischen Grenze. Die Universität wurde wieder eröffnet und wird von einer rechten Zahl von jungen Christen besucht. Wir begleiten diese und organisieren für sie Gebetstreffen und Eucharistiefeiern. Das Attentat auf die Universität war grauenhaft, besonders für die Katholiken. Sie waren auch schon früher ins Visier genommen worden. Diese Terroristen gehen allerdings nicht nur gegen Christen vor. Sie haben ihr Wirken in Somalia fortgesetzt und begehen dort Attentate, auch wo es keine Christen gibt. Das erste Ziel der Terroristen al-Shabbab in Kenya ist es, dass die Regierung von Kenya gezwungen wird, ihre Truppen, die sie in Somalia eingesetzt hat, zurückzuziehen“.

Wie waren früher die Beziehungen der Christen und der Muslime zueinander?

„Es waren gute Beziehungen. Allerdings waren die Beziehungen zur Regierung weniger gut. Vor der Unabhängigkeit von den Engländern war der grössere Teil von Larissa ein Gebiet, das zu Somalia gehörte. Dann wurde es ein Teil von Kenya und der eher geschlossene somalische Stamm wurde in der Folge aufgeteilt. Das hat zu vielen Problemen geführt: Die Mitglieder dieses Stamms auf unserem Territorium fühlen sich als Bürger von Somalia und ihre Verwandten wohnen jenseits der Grenze. Für eine gewisse Zeit war auch eine Terroristenbande aktiv, die Shifta, die gewaltsame Aktionen, Überfälle und Raubzüge, unternahm,; allerdings waren sie nicht so radikal und gewalttätig wie die al-Shabbab“.

Was denken die Muslime, die auf dem Territorium von Garissa leben, über die al-Shabbab?

„Hier sind die Muslime - die zu verschiedenen Stämmen gehören, zwei von ihnen sind den Christen sehr gewogen - freundlich und friedfertig. Sie halten den Islam für eine Religion des Friedens. Den Terroristen geben sie keine Unterstützung. Es gibt einige, die sich fürchten, diese Gruppe in aller Offenheit zu verurteilen. Denn sie fürchten Racheakten gegen ihre Verwandten in Somalia oder sie gehören zum selben Stamm wie die Terroristen und befürchten, dass man sie als Verräter behandelt. Diese Muslime leiden und schweigen: sie haben Angst vor Attentaten und fühlen sich gleichzeitig nicht im Stande, zur Polizei zu gehen und bei ihr Anzeige zu erstatten. Seit kurzem kann die Armee auf die Mitarbeit von Bürgern islamischen Glaubens zählen. Die katholische Kirche geniesst viel Sympathie und Bewunderung von Seiten der Muslime, vor allem wegen der verschiedenen sozialen Werke. Es ist mehrmals vorgekommen, dass islamische Gläubige zu uns Priester sagten: „Es ist wirklich schade, dass ihr - weil ihr Christen seid - in die Hölle kommt, wo ihr doch so gute Menschen seid“.

Welche sozialen Werke wurden von der Diözese gefördertf’

„Neben der Pastoration führen wir einige Kliniken, ein Spital, ein Rehabilitationszentrum für behinderte Kinder, ein Waisenhaus für Mädchen und einige Primarschulen. Daneben arbeiten fünf Gruppen für die Förderung der Frau; regelmässig wird die Verteilung von Nahrungsmitteln und von Gütern des täglichen Bedarfs für die Ärmsten organisiert. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, er hat eine Würde, die nicht veräusserbar ist, er möchte respektiert und geliebt werden. Das ist es, was wir mit unseren Werken hinüberbringen möchten. Sie sind nämlich für die ganze Bevölkerung bestimmt. Die Schulen werden zum Beispiel von islamischen und christlichen Kindern besucht. Wir sind überzeugt, dass die katholischen Schulen beim Aufbau einer friedlichen Gesellschaft, die zusammenhält, einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Die muslimischen Eltern schenken uns ihr Vertrauen, sie schätzen uns und sagen, dass sie froh sind, ihre Kinder in unsere Schulen schicken zu können. Sie wissen, dass wir uns engagiert für die menschliche Bildung der jungen Generationen einsetzen. Wir vermitteln den Schülern die Werte des Evangeliums, die ja universal sind: Liebe zum Nächsten, Gerechtigkeit, Friede, Versöhnung. Die Kinder nehmen sie auf, sie studieren und spielen miteinander und lernen dabei, sich gegenseitig zu schätzen, zusammenzuleben, den, der zu einem anderen Stamm oder zu einer anderen Religion gehört, nicht als Gegner zu betrachten. Wir säen und sind sicher, dass die Früchte kommen werden“.

In welchen Formen wird in der Diözese der interreligiöse Dialog gepflegt?

„Mit verschiedenen Initiativen haben wir in unserer Diözese den interreligiösen Dialog nach Vorne entwickelt. Vor einigen Jahren finanzierte die Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten ein zweijähriges Dialog-Programm. Für die einzelnen Pfarreien waren regelmässige Treffen von Frauen, Jungen, Erwachsenen und mit religiösen Autoritäten vorgesehen. Es ging darum, sich kennenzulernen, sich auseinanderzusetzen und mögliche Konflikte zu vermeiden. Die jungen Leute haben auch gemeinsame Sportanlässe organisiert. Unterdessen ist die Finanzierung zu Ende gegangen, aber die Gruppen treffen sich noch immer. Die Resultate sind ermutigend. Zum Beispiel: Kürzlich gelang es in einer Pfarrei einer interreligiösen Gruppe von Frauen, einen Konflikt, der unter Ehemännern ausgebrochen war, zu lösen. Ich selber habe gelegentlich Begegnungen mit den örtlichen Imanen; es handelt sich vor allem um Gebetstreffen. Einige von ihnen kamen nach dem Attentat auf die Universität in die Kathedrale und bekannten - wirklich betroffen - ihr Beileid und entschuldigten sich für das, was geschehen war“.

Wie würden Sie den Glauben der Katholiken von Garissa beschreiben?

„Klar und fest! Das Attentat auf die Universität geschah am Hohen Donnerstag. Am Freitag und Samstag stand die Kathedrale mehr oder weniger verlassen da. An Ostern war sie überfüllt. Darunter waren viele Kinder, die für die Taufe vorgemerkt waren. Ich erinnere mich noch, wie die Journalisten, die wegen des Attentats angereist waren, völlig überrascht waren, als sie diese grosse Menge von Gläubigen sahen. Ich sagte: Die Ruhe ist nun zurückgekehrt. Die Katholiken fürchten sich nicht, den Rosenkranz um den Hals zu tragen und Medaillen mit dem Bild Jesu und der Madonna. Selbstverständlich fürchten sie sich vor Attentaten, gleichwohl suchen sie die Kirche auf. Sie sagen: „Wenn wir sterben müssen, dann besser hier im Haus des Herrn“. Das sagen auch die Jungen. Wir Priester unterstützen sie und ermutigen sie zu beten. Das Gebet ist übermächtig gegenüber dem Bösen. Ich setze grosses Vertrauen auf den Heiligen Geist; er ist es, der die Kirche führt. Aus Gründen der Sicherheit ist im Städtchen Mandera im nördlichsten Gebiet der Diözese kein Priester in ständigem Einsatz. Die Gläubigen fahren fort, mit Entschlossenheit ein Leben aus dem Glaubens zu führen. Da ich sie regelmässig besuche, erfahre ich, wie der Heilige Geist am Wirken ist. Christus hat gesagt, er sei bei uns allen bis ans Ende der Zeit. Das wiederholen wir immer wieder unseren Gläubigen, und sie haben es begriffen“.

Gibt es Anzeichen dafür, dass die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen besser werden?

„Da bin ich hoffnungsvoll, vor allem aus zwei Gründen: Die Regierung bemüht sich sehr, die Infrastrukturen des Gebiets zu verbessern: Strassen, Wasserversorgung, Elektrizität. Sie hilft damit der Region, dass sie sich entwickeln und sich öffnen kann. Dazu bemüht sie sich, die jungen Leute, die studieren wollen, zu fördern und ihnen Arbeitsplätze zu verschaffen. Die Bildung ist einer der vier Pilaster des Regierungsprogramms. Die Jungen, die an andere Orte gehen, um zu arbeiten oder an Universitäten Kenyas zu studieren, lernen sich mit anderen Stämmen auseinander zu setzen und ganz verschiedene Lebensweisen kennen zu lernen. Dadurch verändert sich die Mentalität und es hilft dazu, jene Formen von Abgeschlossenheit zu überwinden, die in unserer Gegend immer wieder das Zusammenleben behindern. Wir sind diesen jungen Leuten nahe, wir begleiten sie und unterstützen sie in ihrem Studium, auch finanziell. Ich habe vor allem viel Vertrauen, weil ich weiss, dass Gott das Böse besiegt und keinen seiner Söhne aufgibt. Mit seiner Hilfe machen wir unser Bestes, um die gute Saat des Evangeliums auszustreuen und die Zukunft seinen Händen zu übergeben. Vielleicht werden sich die Früchte unseres Einsatzes nicht sofort zeigen; das mag stimmen; aber die zukünftigen Generationen werden von ihnen profitieren. Unsere Brüder im Glauben auf der ganzen Erde bitten wir, dass sie unsere Gemeinschaften mit ihrem Gebet unterstützen, damit wir weiterhin mit unserem Leben das Evangelium verkünden können“.

Quelle:
Kenya, Garissa, Samen des Friedens zwischen Christen und Muslimen

Letzte Änderung am Donnerstag, 22 November 2018 16:52